Früher konnte man Franzosen und Deutsche an ihren Fahrrädern und der Art und Weise, wie sie diese fuhren, erkennen. Die Deutschen aufrecht und langsam, die Franzosen über die Rennradlenker gebeugt und schnell. Die Franzosen in den neuesten Trikots, mit Handschuhen und aerodynamischen Helmen; die Deutschen in einfacher Sportkleidung. Die Franzosen konzentriert die Strasse oder den Fahrradweg vor Augen, die Deutschen sich laut unterhaltend. Manche mit Helm, die meisten ohne. Das alles im Urlaub in Aquitaine.

Die Tour de France hat vieles verwischt. Früher habe ich Radsport und Tour de France den Franzosen und Belgiern zugeordnet, heute kann auch ein Deutscher, sogar ein Däne die Trophäe nach Hause bringen. Auf Fahrrädern sind sie kaum mehr zu unterscheiden.
In der Gegend, in der ich wohne, also im Médoc, sind im Sommer alle Fahrradwege befahren, von Deutschen, Franzosen und manchmal auch von Belgiern und Holländern. Unterscheiden lassen sie sich fast nur noch an ihrer Sprache. Sie radeln auf dünnen Reifen, dicken Reifen, oder normal grossen Reifen. Sie radeln aufrecht oder gebeugt.
Wenn die Wälder wegen Feuergefahr geschlossen sind, gehe ich mit meinem Hund an den Fahrradwegen entlang und mache meine Studien. Ich stelle fest, dass es neben allem Verwischen doch noch Unterschiede gibt.

Neben mir rasen Männer und Frauen, auch während der Ferien, auf Rennrädern die Fahrradwege entlang, das sind meistens Franzosen. Aber ich weiss es nicht ganz genau, denn sie sprechen nicht. Sie sind über ihre Lenker gebeugt und nehmen das Fahrradfahren zum Anlass ihrer Aktivität, nicht zur Unterhaltung. Sie bewegen sich von A nach B, nicht um die Gegend zu erkunden, sondern um Radsport auszuüben. Immer noch mit einem Hauch von Tour de France. Das hat wohl Tradition.

Wenn ich Männer und Frauen auf einfachen Fahrrädern über die Fahrradwege radeln sehe, laut gestikulierend, Anweisungen gebend „Pass auf!“ oder sich unterhaltend: „Hast Du gesehen, wie unvorsichtig Ute den Gaskocher abstellt. So dicht am Baum.“ Dann sind das, na klar, die deutschen Urlauber.
Sie lassen ihre Kinder auf Kinderrädern, sogar auf Laufrädern hinter sich herfahren. Das Kind auf dem Laufrad laufen lassen neben den rasenden Rennrädern, das trauen nur die Deutschen ihren Kindern zu. Sie lernen früh, dass das Leben kein Ponyhof ist. Diese Situation ist jedoch selten. Eine französische Familie mit Kind auf einem Laufrad habe ich noch nie beobachten können.
An Kreuzungen sind die Deutschen, wie sonst meistens auch, gehorsam, steigen ab, lassen den Vater die Lage inspizieren und fahren dann, während Vater oder Mutter den Verkehr stoppt, im Gänsemarsch über die Strasse. „Beeil dich!“
Es scheint mir, als hätten viele Franzosen eine andere Beziehung zu ihren Fahrrädern. Sie sind zwar sportliche Objekte, müssen aber dennoch einen gewissen Chic haben. Ich sehe sie selten auf alten klapprigen, ausgedienten Drahteseln. Und wenn, dann auch schon mal eine filterlose Zigarette rauchen. Klischee wird Realität. Während vielen Deutschen – zumindest im Urlaub – das Design und die Farbe ihres Rades egal sind. Es muss funktionieren und Punkt.

Die Trennung nach französischen Radlern und deutschen ist jedoch wie gesagt nicht mehr so klar. Es ist durcheinander geraten. Ich höre auch Franzosen, die als Gruppe auf gemieteten Fahrrädern durch die Gegend radeln und sich dabei laut unterhalten und Deutsche, die im Urlaub Radsport betreiben.

Und dann die E-Biker! Da sind beide Nationen manches mal so schnell, dass selbst die Deutschen sich während der Fahrt nicht über Ute beklagen können, und die Franzosen sich nicht mehr gegen den Wind beugen müssen. Beide Nationen kommen hinter mir angeflogen, husch, und ich muss mit meinem Hund schnell an die Seite springen. Die Unterschiede beim Fahrradfahren verwehen. Wie schade.